Vom Außenseiter zum Künstler
Die ersten Stolpersteine
Geboren in ein Umfeld mit erschwerten Lebensbedingungen war mein Start ins Leben von frühen Umbrüchen geprägt. Auf einen ersten Umzug aus meinem Geburtsort – weil sich mein Vater selbständig machen wollte – folgte bald die Rückkehr in meine Heimat. Mein Vater verschwand plötzlich aus unserem Leben, und in den folgenden Jahren zogen wir mehrfach innerhalb der Stadt um.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum mir die ersten Lebensjahre wie ein Schleier vorkommen – viele Erinnerungen fehlen. Als hätte mein Unterbewusstsein sie geschützt abgelegt.
Doch ein Ereignis hat sich deutlich eingebrannt: Ein einmonatiger Aufenthalt im Krankenhaus. Ich sehe noch heute den Vorplatz, das Krankenzimmer mit Balkon und wie ich dort lag. Beobachtend. Als wäre ich zugleich im Raum und doch außerhalb von allem.
Verursacht durch eine lebensbedrohliche Erkrankung – nur wenige Wochen vor dem Termin der gerichtlichen Scheidung meiner Eltern.

Aus heutiger spiritueller Sicht frage ich mich manchmal: War es ein unbewusster Versuch, meine Eltern wieder zusammenzubringen?
In Gesprächen mit meiner Mutter erkenne ich rückblickend zudem frühe Anzeichen einer Hochsensibilität: eine starke Empfindlichkeit gegenüber Licht, Hitze und Lärm – und gleichzeitig eine ungewöhnlich hohe Kältetoleranz. Auch mein ausgeprägter Entdeckungsdrang zeigte sich früh, was sich im Nachhinein als Hinweis auf eine Hochbegabung deuten lässt. In einer Umgebung, die jedoch stark auf Sicherheit und Routinen bedacht war und wenig Raum zum Experimentieren ließ, war es jedoch kaum möglich, diesen Forschergeist wirklich zu leben.
Kunst als Zufluchtsort
Meine kreative Schöpferkraft zeigte sich bereits mit fünf Jahren: In unserem Urlaub im Bayerischen Wald entstanden die ersten von mir selbst geschossenen Bilder. Sie waren nicht perfekt. Aber gerade diese Un-Perfektheit macht sie für mich heute so besonders. Damals intuitiv entstanden, greife ich diesen achtsamen Zugang mit der Methode der bewussten Fotografie heute wieder auf – ganz im Sinne des japanischen Konzepts “Wabi Sabi”.

Eingeschult wurde ich mit sieben Jahren – ein Jahr später als üblich, weil meine Mutter glaubte, ich sei noch nicht so weit. Rückblickend betrachtet war vermutlich genau das Gegenteil der Fall: Bereits in der ersten Klasse las ich unbekannte Texte sinnerfassend und selbständig; das Rechnen fiel mir spielend leicht. Ein Zeichen für eine mögliche intellektuelle Overexcitability.
Doch in einem schulischen Umfeld, das auf langsames Lernen, häufiges Nachfragen und die Bedürfnisse lernschwacher Kinder ausgelegt war, konnte ich mein volles Potential kaum entfalten. Die PS kamen nicht auf die Straße. Frustration trat auf. Meine Lehrerin sprach von mangelndem Selbstvertrauen, tatsächlich war es eher eine beginnende Leistungsverweigerung aus Unterforderung.

Schon früh entwickelte ich eine ausgeprägte Vorstellungskraft: Ich schrieb Geschichten, malte und gestaltete mit großer Hingabe. Ich entdeckte Lernsoftware wie die Addy-Reihe für mich, mit der ich mir Inhalte selbständig aneignete. Auch Strategiespiele wie ANNO oder SimCity faszinierten mich mit ihrer spielerischen Form, strukturiert zu denken, zu planen und Dinge zu erschaffen.
Einer meiner schönsten Momente aus dieser Zeit war in der vierten Klasse der Gewinn eines Sonderpreises in einem Schülerwettbewerb – mit einer selbst geschriebenen Kriminalgeschichte.
Ein erster sichtbarer Ausdruck meines kreativen Potentials.
Jugendjahre zwischen Kreativität und Chaos
Ein erneuter Umzug – diesmal zum damaligen Partner meiner Mutter nach München – eröffnete mir neue schulische Perspektiven. Zum ersten Mal erkannte eine Lehrerin mein Potential und empfahl den Wechsel in eine Realschule. Doch weil mir vieles schon immer zufiel, hatte ich nie wirklich gelernt zu lernen. Abstrakt-logische Fächer waren mir damals ein Graus – vor allem, wenn sie unverbunden zur Realität oder ohne einen roten Faden vermittelt wurden.
Gleichzeitig wurde der zunehmende Alkoholismus des Partners meiner Mutter zu einer echten Belastungsprobe. Erneut stand ein Umzug an – diesmal in eine dunkle Kellerwohnung. Diese schwierigen Lebensumstände spiegelten sich auch in meiner schulischen Leistung wider. Dass trotzdem Potential vorhanden war, zeigte sich besonders in einem Fach: Während ich bei einem Lehrer in Mathematik auf einer Fünf stand, erzielte ich bei einem anderen plötzlich eine Zwei. Solch ein starker Leistungsunterschied ist nicht mit bloßen Schwankungen erklärbar. Vielmehr offenbarte er, wie stark Lehrperson und Lernumfeld mein Engagement beeinflussten.
Auch durch Mobbing von Mitschüler:innen wurde die Realschulzeit zu einer schwierigen Phase. Doch einmal mehr fand ich Zuflucht im kreativen Ausdruck: Ich bewarb mich für die Kindernachrichten beim Bayerischen Rundfunk und drehte eigene Videos – lange bevor es Begriffe wie Content Creator oder Social Media überhaupt gab.
In Computerspielen wie Die Sims baute ich mir Welten, in denen ich frei war, zu leben wie ich wollte – und spielte dort, ganz natürlich für mich, mit einem weiblichen Spielcharakter. Kreativität wurde zum Kanal, durch den ich mich selbst schützen, ausdrücken und neu entdecken konnte. Menschen nun dabei zu inspirieren, die Schönheit im Un-Perfekten zu sehen, ist mein heutiger Antrieb.
Pflege statt Perspektivlosigkeit
Für mich zählte schon immer der Mensch in seiner Einzigartigkeit mehr als Dinge. Kein Wunder also, dass ich meine erste Ausbildung zum Pflegefachhelfer erfolgreich abschloss. Gleichzeitig erwarb ich nach meinem vorzeitigen Verlassen der Realschule den Mittleren Bildungsabschluss. Ich hatte endlich eine Tätigkeit gefunden, die meinem Leben Sinn gab. Abseits meines früheren Zuhauses wohnte ich im angeschlossenen Internat – und fühlte mich zum ersten Mal frei. Ich gewann neue Kraft und echte Lebensfreude.
Bereits in dieser Phase zeigte sich auch meine emotionale Overexcitability sehr deutlich: Mit meiner hohen Empathiefähigkeit gewann ich schnell das Vertrauen der von mir betreuten Bewohner:innen. Doch je länger ich arbeitete, desto stärker spürte ich das festgefahrene System aus Routinen und repetitiven Tätigkeiten. Ich konnte – und wollte – mehr leisten. Ähnlich wie in meiner Grundschulzeit war ich auch hier unterfordert.
Die beginnende körperliche, aber auch geistige Erschöpfung ließ so nicht lange auf sich warten.

Die darauf folgende Ausbildung zum Altenpfleger und die pädagogische Weiterbildung zum Praxisanleiter gaben mir zwar mehr Verantwortung und etwas mehr Handlungsspielraum – doch die tieferliegende Erschöpfung blieb. Der zusätzliche Druck führte schließlich zu einem manifesten Burnout. Durch das jahrelange Verharren in unterfordernden Situationen hatte ich keine Ressourcen mehr, um dem alltäglichen Stress des Pflegeberufs standzuhalten und schied schließlich krankheitsbedingt aus.
Hinzu kam die Diskrepanz zwischen meinen eigenen moralischen Werten und der Realität des Pflegealltags. In enger Zusammenarbeit mit dem Pflegekritiker Claus Fussek begann ich, Leserbriefe zu schreiben und Interviews für die lokale Presse zu geben. Ich wollte über die Lebensbedingungen älterer Menschen in Pflegeheimen aufklären. Für mich war das auch ein Ventil, um meinem Frust Luft zu machen und meiner Stimme endlich Gehör zu verschaffen.
Vom Funktionieren zum bewussten Leben
Mein vermeintliches Scheitern in der Pflege führte mich zu einer Phase tiefer Selbstreflexion. Ich stellte mir die Frage, was im Leben wirklich zählt – und was mich im Kern ausmacht. Schon früh tauchte der Begriff Neurodivergenz auf. Die zunächst vermutete Autismus-Spektrum-Störung stellte sich jedoch als nicht zutreffend heraus.
Doch das Thema ließ mich nicht mehr los. Ich begab mich selbst auf Spurensuche: Hochsensibilität, ein ADHS-Verdacht oder eine ausgeprägte Scanner-Persönlichkeit – all diese Konzepte lieferten Teilantworten. Erst ein Mensa-Test brachte Licht ins Dunkel.
Auch wenn ich die „magische Grenze“ von 130 nicht überschritt, wurde mir eine überdurchschnittliche Intelligenz attestiert und in Teilbereichen sogar eine Hochbegabung.
Diese Erkenntnis war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich begann, mich selbst besser zu verstehen, mich mehr zu akzeptieren. Ließ alte, toxische Verhaltensmuster hinter mir.

Meine frühere Leidenschaft für kreatives Gestalten kehrte zurück: In meinem Blog schreibe ich über das, was mich bewegt oder lasse mich vom Leben zu neuen Foto- und Videoprojekte führen.
Doch das war erst der Anfang. Heute bin ich auch Begründer der Methode der bewussten Fotografie – einer Verbindung aus Achtsamkeit, Kreativität und Wahrnehmung. Ziel ist es, durch achtsames Sehen die Schönheit im Alltag in Bildern festzuhalten – in der Welt, in anderen Menschen und vor allem in sich selbst.